Sie haben das Buch "Streiten" geschrieben, um das es am 26. Februar im Hamburger Mittagsgespräch gehen soll, streiten Sie sich gern?
Ja, im Streit bin ich auf den anderen bezogen und schärfe meine Argumente an seinen, um ihn zu überzeugen. Denn das ist ja die Hoffnung, die Streitende immer haben müssen, um die Anstrengung überhaupt auf sich zu nehmen: Dass sie weiterhin eine Welt teilen können, weil – so die Hoffnung - sich der andere überzeugen lässt. Insofern wohnt jedem Streit ein Siegeswille inne – aber gleichzeitig der Wunsch, verbunden zu bleiben.
Doch das kann leicht misslingen. Der Siegeswille kann schnell in einen Vernichtungswillen kippen. Ich habe das als Kind bei meiner Mutter und meinem Stiefvater erlebt. Oft lag ich nachts wach in der Befürchtung, dass sie sich umbringen.
Die Evangelischen Akademien stehen für den Diskurs, was ist der Unterschied zum Streit?
Der Diskurs ist das kommunikative Ideal. Der Streit die kommunikative Realität. Diskurs meint nach Habermas: Man lässt die Affekte und die eigenen Erfahrungen außen vor, ist in der Lage, die Perspektive zu wechseln und folgt ruhig dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“, bis am Ende ein Konsens gefunden ist. Aber können wir wirklich unsere Affekte und Erfahrungen an der Garderobe abgeben? Und lassen sich radikal unterschiedliche Perspektiven wirklich in einen Konsens überführen?
Womit wir bei der kommunikativen Realität des Streits wären: Hier prallen Perspektiven aufeinander, Affekte und Erfahrungen spielen immer eine Rolle. Und selbst wenn es mir gelingen sollte, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, muss ich immer noch nicht mit seiner Sicht übereinstimmen. Im Buch zeige ich, dass wir der Unversöhnlichkeit mehr Raum geben sollten.
Ohne dass Sie sich selbst so sehen, halten manche Sie für „rechts“, warum?
Weil ich der Auffassung bin, dass auch solche Positionen, die ich selbst nicht vertrete, das Recht haben, vorzukommen. Wer für eine solche Offenheit eintritt, gerät leicht in Verdacht. Zudem verwechselte man „Verstehen“ und „Rechtfertigen“. Wenn ich versuche, rechte Positionen zu verstehen, rechtfertige ich sie noch lange nicht.
Vielen Dank für das Gespräch, wir freuen uns auf seine Fortsetzung am 26. Februar bei "Viertel nach Zwölf. Hamburger Mittagsgespräche"!
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Bevor die jüdische Bevölkerung von den Nazis interniert, ermordet oder vertrieben wurde, wurde sie ihres Besitzes beraubt. Das Schlagwort der Jahre 1938/39 hieß "Arisierung".
So gab es beispielsweise in der Hamburger Geschäftsstraße "Neuer Wall" vor dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Geschäfte und Unternehmen in jüdischem Besitz. Wer waren die Menschen, die einst hier gearbeitet haben? Was wurde aus Ihnen?
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